// Architekten und Steildach – eine Hassliebe?

Ein Kommentar der Berliner Architekten Andreas Reeg und Marc Dufour-Feronce über ihr Verhältnis zum Steildach.

Wenn wir an Steildächer denken, denken wir an freistehende Einfamilienhäuser. Anschließend an rechtwinklige, schwarz glimmernde Straßen ohne Schlaglöcher, Schottervorgärten, standardisierte Putzfassaden. Es sind anerzogene und gleichzeitig gewohnte Assoziationen. Städtische Randgebiete mit ausgebreiteten Einfamilienhaussiedlungen als Sinnbild der Monotonie. Ein Vorurteil? Ja, ganz bestimmt.

Wir Architekten sind Fetischisten, wenn es um Materialität und Haptik geht. Das, was wir verbauen, wollen wir nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Das gilt auch bei der Dacheindeckung. Wir bestellen Produktmuster, um auch wirklich sicher zu sein, auf das richtige Material zu setzen. Und was dann kommt, ist oftmals enttäuschend. Industriell gefertigte Perfektion, jedes Teil gleicht dem anderen. Technisch einwandfrei und dafür geschaffen, Generationen zu überdauern, dabei möglichst unproblematisch und für jegliche Witterungsbedingungen gewappnet. Und genau da offenbart sich das Missverständnis zwischen Wunsch und Realität.

Lebenswerte Architektur gehört nicht konserviert. Sie soll atmen, altern und über die Jahre hinweg eine Patina entwickeln. Was früher bedingt durch natürliche Verfahren handwerklich gefertigt wurde, kommt heute im perfekten Einheitslook daher. Nur darauf ausgerichtet, möglichst pflegeleicht und langlebig zu sein. Ob das Klischeedenken ist? Ja, natürlich. Aber die Dachlandschaften, die Städte wie Kopenhagen, Rom oder Prag ausmachen, sind alles andere als perfekt. Weithin sichtbar ist die Individualität, die erst durch Unregelmäßigkeiten und kleine Makel in der Oberfläche ersichtlich wird.

Ich mache mir keine Sorgen um das geneigte Dach, ganz im Gegenteil. Zum Beispiel monolithisch, mit dem Dach als fünfter Fassade, ermöglicht durch eine Materialität, die sich wie ein Kleid um das ganze Gebäude schmiegt. Ob aus Ton oder Beton, aus Metall, Schiefer oder Kork, spielt dabei keine Rolle. Heutzutage gibt es gestalterisch und auch technisch kaum Tabus. Durch klassische Dachformen, die sich im Inneren verschneiden, oder skulpturale Volumen werden spannende Raumsituationen ermöglicht, die einen kreativen und experimentellen Umgang mit der Lichtführung zulassen. Wir bauen gerne steil und sehen uns als Architekten auch in der Verantwortung, das baukulturelle Erbe durch die Auswahl passender Materialien zu bewahren.

Gastkommentare in stadt/land/dach geben stets die Meinung der jeweiligen Gastautoren wieder und nicht explizit die der Herausgeber.
Ausblick aus dem Dachgeschoss des Korkenzieher-Hauses von rundzwei Architekten, das auch die Titelseite dieser Ausgabe schmückt. Von außen an Dach und Fassade mit Kork überzogen, besticht es innen mit einer klaren Linienführung und einem großzügig gefalteten Raumeindruck.
Korkenzieher Haus, rundzwei Architekten.
Bildnachweise: Waldemar Brzezinski / Felix Zimmermann

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