//ÖKOLOGISCHES STATEMENT UNTERM STEILEN DACH

//HAASCOOKZEMMRICH STUDIO2050, STUTTGART
„Wie würde man ein Haus bauen, wenn es keine Energie mehr gäbe?“ – eine Frage, der sich die Architekten haascookzemmrich STUDIO2050 bei der Planung des Alnatura Campus in Darmstadt gemeinsam mit ihrem Bauherrn ganz bewusst stellten. Mit ihren Antworten wagten sie sich auf bisher unbekanntes Terrain und wurden 2019 für ihren Mut und die Umsetzung mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur ausgezeichnet.

Im ersten Moment erscheint das Gebäude auf dem Grundstück der ehemaligen Kelley Barracks mit seinen klar strukturierten Längsseiten eher unauffällig. Die vollständig verglasten Stirnseiten dagegen gewähren erste Einblicke und formulieren eine einladende Geste. Und genau das möchte das Haus auch vermitteln: Es soll nicht beeindrucken, sondern einladen, sich offen zeigen für neue Ideen und insbesondere für die Menschen, die hier täglich ein und aus gehen.

Im Inneren verbinden Brücken, Treppen und Stege die geschwungenen Ebenen. Gearbeitet wird überall – im Fokus steht das Netzwerk aus horizontalen und vertikalen Nachbarschaften, der spontane Gedankenaustausch zwischen Kopierer und Teeküche. Dass der Entwurf von den Attributen abweicht, die mit einem Gebäude dieser Art verbunden werden, zeigt sich auch in der Dachform. Zwar assoziieren Architekten bei Bürobauten laut einer früheren Studie der Hochschule Bochum eher ein Flachdach. Der Alnatura Campus jedoch ist ein Beispiel dafür, dass auch ein Steildach zu einer einzigartigen Arbeitsatmosphäre beitragen kann.

Die Holzkonstruktion des Daches erhielt abschließend eine Metalldeckung mit industriellem Stehfalz. Natürliche Oberflächen machen den Innenraum optisch und haptisch erfahrbar.
//ZWISCHEN KOMMUNIKATION UND KONZENTRATION

Beim Durchschreiten des Gebäudes ist schnell vergessen, dass es sich um einen großen Raum handelt. Bei aller Offenheit, mit der sich die Arbeitslandschaft präsentiert, herrscht eine gedämpfte Geräuschkulisse. Für die gelungene Akustik sorgen in die Betondecke eingelegte Absorberstreifen sowie die Verkleidung des Holzdaches mit einer schallwirksamen Holzlamellendecke.

Überraschend ist auch die helle Atmosphäre, die ihren Ursprung in einem Oberlichtband findet. Über die gesamte Gebäudelänge verlaufend, verbindet es die beiden geneigten Dachscheiben gestalterisch wie konstruktiv zu einer Einheit. Das Dach wird zum umschließenden Element, ohne den Raum zu begrenzen.

//ZURÜCK ZUR NATUR
Überzeugt, dass es für einen signifikanten Beitrag zur Reduktion der CO2 Emissionen noch mehr Mutes und einer ganzheitlichen Betrachtung bedarf, setzte das Team um Martin Haas beim Alnatura Campus auf natürliche und ressourcenschonende Baustoffe. So bestehen die selbsttragenden Wandscheiben der Nord- und Südfassade aus vor Ort hergestellten Stampflehmblöcken mit einer Kerndämmung aus Recyclingmaterial. Das Gespür, das bei der Schalung und Verdichtung der Großformate gefordert wurde, wird jahrzehntelang zum Erhalt des Materials beitragen. Denn gestampfter Lehm ist in seiner Dichte nicht nur mit Beton vergleichbar und sorgt im Sommer für angenehm kühle Räume, sondern bleibt auch von Algen- und Moosbildung verschont. Für die Beheizung im Winter ließen sich die Architekten eine weitere Innovation einfallen: Weltweit erstmalig wurde die Stampflehmwand mit einer geothermischen Wandheizung belegt.
//MIT MUT UND AMBITION ZUM ZIEL
Neben Lehm und Lavaschotter kommt in den Außenwänden recyceltes Material aus dem Tunnelaushub von Stuttgart 21 zum Einsatz. Der Kamineffekt unter dem Atrium dient als Antrieb für die Frischluftzufuhr aus dem angrenzenden Darmstädter Westwald. Und selbstverständlich wird über die PV-Anlage auf dem Steildach Energie gewonnen. Wie sich zeigt, braucht es das Zusammenspiel der kleinen und großen Maßnahmen, aber auch die Bereitschaft von Architekten und Bauherren, neue Wege zu beschreiten, um ein klimaneutrales Gebäude zu entwickeln.
Bildnachweise: Frederik Laux (1); Roland Halbe

//Artikel Teilen