// VERMITTELNDE DACHSTRUKTUREN IM TRADITIONSREICHEN UMFELD

// BAUR & LATSCH ARCHITEKTEN, MÜNCHEN
Von Nachverdichtung ist seit Jahren vorwiegend in urbanen Groß-stadtvierteln die Rede, wenn es um Lösungen für den Wohnungsmangel geht, die zugleich einer wachsenden Zersiedelung entgegentreten. Dass sie aber auch im Kontext kleinteiliger Strukturen funktionieren kann, beweist das junge Architekturbüro Baur & Latsch in Rüsselsheim. Voraussetzungen sind das richtige Gespür für Maßstäbe und ein guter Blick für die Eigenheiten des Bestands.

Es sind vor allem Arbeiterhäuschen aus der Jahrhundertwende sowie klassische hessische Hofreiten, die mit ihren Kubaturen und steilen Dächern das Wohngebiet südlich des Verna-Parks in Rüsselsheim prägen. Dazu kommen einige Gewerbebauten mit funktionalem Flachdach-Charakter. Vor diesem Hintergrund lobte die lokale Wohnungsbaugesellschaft gewobau einen Realisierungswettbewerb aus, um auf einem schlauchartigen Grundstück sowie einer etwas abseits gelegenen Fläche Raum für Studierende und Pendler*innen, aber auch Senior*innen und junge Familien zu schaffen.

Gewonnen hat das Münchner Büro Baur & Latsch, das anfangs noch unter Thaler Latsch firmierte. Sie entwickelten ein Ensemble aus sechs maximal dreigeschossigen Gebäuden, die sich durch den Wohnblock schlängeln, sowie ein Einzelgebäude für das kleinere Grundstück. Die räumlichen Situationen und Qualitäten der vorhandenen Strukturen seien für den Entwurf zentral gewesen, wie Architekt Martin Baur erklärt. Ebenso die Frage, was heute architektonisch noch Sinn ergeben würde – und was nicht. Dass das Ergebnis einen durchaus mediterranen Charakter besitzt, haben die Architekten schon oft gehört – auch wenn sie selbst ihre Ideen im kühlen London der 1960er und 70er Jahre gefunden haben: bei öffentlich finanzierten Projekten wie Lillington Gardens von Darbourne & Darke oder Cressingham Gardens von Edward Hollamby und Roger Westman. Die setzten damals den immer höher werdenden anonymen Wohntürmen eine kleinteilige Architektur entgegen, die halböffentliche Gärten und nachbarschaftliches Zusammenleben auch für Geringverdiener erschwinglich machten.

Die leicht versetzten Satteldächer verleihen den kompakten Gebäuden eine gewisse Dynamik.
// NACHBARSCHAFTLICHE REFERENZEN
Diese Vorbilder haben Baur & Latsch zusammen mit den Einflüssen der Umgebung gewissermaßen übersetzt und in eine neue Form überführt: im Falle der sechs aufgereihten Gebäude durch rote Klinkerriemchen mit eingebrannter heller Schlämme sowie zart-grüne Rollläden, deren Farbe eine denkmalgeschützte Villa in der Nähe zitiert. Die prägnanten Torbögen erinnern an das alte Opel-Werk, und die Holzgalerien beziehen sich in ihrer Ästhetik auf die umliegenden Höfe, die ihr Pendant in den großzügigen Freiflächen zwischen den Häusern finden. Ein wenig zurückhaltender präsentiert sich das alleinstehende Haus, das auch ohne wohnraumerweiternde Galerie durch seine dezent farbige Putzfassade an die restlichen Bauten anknüpft.
Das Haus in „Insellage“ präsentiert sich weniger expressiv, trägt aber erkennbar die gleiche Handschrift wie die anderen sechs Gebäude.
// DÄCHER ALS VERMITTLER
Gänzlich ohne direkte Vorbilder sind die Dachkonstruktionen, die die kompakten Gebäude überstandsfrei abschließen. Während Dachneigungen von 45° und mehr in der Nachbarschaft üblich sind, changieren die leicht versetzten Satteldächer zwischen 10 und 20°. Die ursprünglichen Entwürfe hätten sogar Flachdächer vorgesehen, um bei der vorgegebenen Maximalhöhe möglichst viel Volumen den Wohnungen zuzuschlagen, wie Martin Baur erzählt. Die allerdings hätten immer sehr störrisch gewirkt, und so wurde mit der letztendlichen Neigung die perfekte Lösung gefunden. So vermitteln die Gebäude nun in gewisser Weise auch zwischen der Wohnarchitektur im Viertel und den vereinzelten Flachdach-Gewerbebauten.
Bildnachweise: Baur & Latsch Architekten (1); Sebastian Schels

// Artikel Teilen