// DACHFORM FOLGT FUNKTION – ODER DOCH NICHT?

Funktionsbauten müssen nicht beeindrucken, sie müssen funktionieren – das war’s. Wirklich? Sollte nicht auch hier neben der Pflicht die Kür eine Rolle spielen, außer dem Nutzwert auch gestalterischer Anspruch zum Tragen kommen? Beides miteinander zu verknüpfen ist nahezu immer eine Gratwanderung. Doch sie lohnt sich.

In dem Neubau am Oberhausener Altmarkt werden erstmals Büronutzung und Dachgewächshaus miteinander kombiniert.

Mit Funktionsbauten werden in der Regel keine preisgekrönten Architektur- Ikonen verbunden. Sie sind Mittel zum Zweck und folgen klaren, ablauforientierten Vorgaben. Dass sie jedoch – wie jede andere Gebäudeart – Teil der gebauten Umwelt sind und somit Einfluss auf sie und ihre Nutzer*innen haben, scheint gerne verdrängt zu werden.

// QUADRATISCH, PRAKTISCH, GUT?

Die Folge sind gesichtslose, kastenförmige Bauten, die unform das Stadtbild füllen – von kontextbezogenen Kubaturen bisher wenig Spuren. Das belegt auch eine Studie der Hochschule Bochum aus dem Jahr 2018, nach der Funktionsbauten eher mit flachen als mit geneigten Dächern assoziiert werden. Dabei kann das Steildach durch Form, Neigung und Materialität unmittelbar auf die baukulturell bedingte Gestalt seiner Umgebung reagieren und als Vermittler zwischen Alt und Neu fungieren. Dass in den vergangenen Jahren bereits ein Umdenken stattgefunden hat, zeigt das Saatgutzentrum in Rheinau, Schweiz, von Staufer & Hasler Architekten. Dessen vorgegebene Grundmaße von 30 mal 30 Metern schienen für das zu erfüllende Nutzungsprogramm zunächst zu klein, für die Körnigkeit des Ortes dagegen zu groß. Hinzu kam das denkmalpflegerisch hochsensible Umfeld, das durch den Neubau nicht gestört werden sollte. Heute gliedert sich der Produktions- und Lagerbau mit vier fein gezeichneten Spitzbogendächern in die kleinteilige Bebauung ein.

Ein ähnliches Prinzip wählten auch wulf architekten beim Entwurf des Sportzentrums in Überlingen, das auf dem Cover dieser Ausgabe zu sehen ist. Fünf Sporthallen unterschiedlicher Größe befinden sich in dem von weißem Streckmetall umhüllten Solitär. Das gefaltete Hallendach strukturiert den großen Baukörper und schafft eine Verbindung zu den kleinmaßstäblichen Umgebungsbauten mit Satteldach. Beide Projekte zeigen Möglichkeiten auf, wie selbst großformatige Funktionsbauten nicht als störend oder seelenlos wahrgenommen werden, sondern zur Aufwertung des Stadtbildes beitragen.

Von außen deutet bis auf einen großen Schornstein nichts auf das innenliegende Kraftwerk hin.
// NEUBAU ALS BESTAND DER ZUKUNFT
Mit Blick auf die aktuelle Nachhaltigkeitsdebatte sollten auch die ressourcenbezogene graue Energie sowie die durch die Bundesstiftung Baukultur begrifflich neu geprägte goldene Energie Erwähnung finden. Letztere bezeichnet die Seele, den Charakter und die Geschichte, also den emotionalen Wert eines Hauses. Ein Gebäude wird nicht allein dadurch nachhaltig, dass es lange steht, sondern indem es lange genutzt wird. Dies setzt voraus, dass es akzeptiert wird und den Menschen einen Mehrwert bietet. Dieser Anspruch sollte mit Blick auf den voranschreitenden Klimawandel auch im Bereich des Funktionsbaus gelten. Wie solch ein Mehrwert aussehen kann, zeigt das Jobcenter in Oberhausen vom Architekturbüro Kuehn Malvezzi. Auf dem Gebäude mit ortstypischer Ziegelfassade befindet sich ein Dachgewächshaus, in dem nicht nur Forschungen vom Fraunhofer Institut UMSICHT zur gebäudeintegrierten Landwirtschaft durchgeführt, sondern auch Lebensmittel für lokale Zwecke angebaut werden. Von der Stadt betrieben, ist es für Besuchergruppen regelmäßig zugänglich. Zudem kommen Grauwasser und Abluft aus dem Jobcenter der Bewässerung und Temperaturregelung der Pflanzen zugute. Wie ein Funktionsbau zu einer echten Attraktion werden kann, zeigt die Bjarke Ingels Group mit „CopenHill“ – einer Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen, die durch ihre knapp 500 Meter lange Skipiste und Wanderpfade auf dem geneigten Dach weltweit bekannt wurde. Eine Nutzung, die sonst eher am Stadtrand zu finden ist, inszeniert sich hier selbstbewusst als Ausflugsort und wird zum Aushängeschild einer ganzen Stadt.
Bildnachweise: Markus Guhl (1); Brigida González

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