//RECHTFERTIGT DER ZWECK DIE MITTEL?

//WULF ARCHITEKTEN, STUTTGART
Eine Stellungnahme von Tobias Wulf, Geschäftsführer von wulf architekten, zu den geltenden Ansprüchen an Funktionsbauten.

Der gestalterische Anspruch an Funktionsbauten wie Sporthallen oder Parkhäuser mag in der öffentlichen Wahrnehmung ein geringerer sein als der an Wohn- oder Kulturbauten. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass jedes Gebäude im öffentlichen Blickfeld liegt und – unabhängig von seiner Nutzung – zunächst mal gleichwertig wahrgenommen wird. Dementsprechend problematisch ist es, vorauszusetzen, dass ein Funktionsbau eine geringere Gestaltqualität benötigt.

Als Architekturschaffende ist es unsere Aufgabe, unter allen Bedingungen die größtmögliche Qualität zu erzielen. Von dieser Verantwortung entbindet uns auch ein enger Kostenrahmen keineswegs. Im Gegenteil: Ein geringes Budget bedeutet nicht, dass der Bauherr nicht an einer guten Architektur interessiert ist. Es ist an uns, eine entsprechende Lösung zu entwickeln, die der Funktion und den Ansprüchen, aber eben auch der Bedeutung für die Gesellschaft gerecht wird. Die Wahl und Ausarbeitung der Konstruktion ist dabei ein entscheidender Faktor, der nicht nur die Kosten, sondern auch die Gestaltung des Innenraums und die Wirkung im Außenraum beeinflusst.

In diesem Zusammenhang würde ich auch der allgemeinen Ansicht widersprechen, dass bestimmte Nutzungen bestimmte Dachformen erfordern. Obwohl während meiner Ausbildung noch die Doktrin des Flachdaches herrschte, bin ich der Meinung, dass mit geneigten Dächern in formaler Hinsicht mehr möglich ist. Sie besitzen ein hohes sinnliches Potenzial und können, je nach Neigung, einem Gebäude Dynamik oder einen hohen Wiedererkennungswert verleihen. Beispielsweise war das Steildach für das Sportzentrum in Überlingen eine Anforderung, die der Bauherr aufgrund des städtebaulichen Umfelds selbst gesetzt hatte. Unsere Aufgabe war es, das gezackte Hallendach als Holzkonstruktion über die große Spannweite hinweg möglich zu machen – mit Erfolg: Das Sportzentrum wird von den Sportler*innen gut angenommen und ist in der Region Bodensee ein bekanntes Bauwerk mit hohem Identifikationswert.

Der Wert eines Gebäudes hängt jedoch nicht nur an seiner gestalterischen Qualität. Die großen Bauwerke der Vergangenheit, die inzwischen 500 Jahre oder älter sind, erhielten im Laufe der Zeit eine neue Nutzung und haben dennoch nicht an Ausdrucksstärke verloren. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte diese Flexibilität in Zukunft wieder als Standard gelten, und zwar wie eingangs bereits erwähnt: unabhängig von der Nutzung eines Gebäudes.

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Um fünf Sporthallen unterschiedlicher Größe in einem klar umrissenen Baukörper unterzubringen, wurden die Nutzungen gestapelt: Im Sockel des Neubaus befinden sich Foyer, Tribüne und Dreifeld-Sporthalle, im oberen Geschoss wurde die Ballsport- und Gerätturnhalle mit Nebenräumen angeordnet.
Bildnachweise: Göran Gnaudschun (1); Brigida González für wulf architekten (2)

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