// ALLES EINE FRAGE DER WIRTSCHAFTLICHKEIT? DAS STEILE DACH IM STÄDTEBAULICHEN MASSSTAB

Eine kleine Stadt in der Stadt, so lassen sich Quartiere ganz grob beschreiben. Nicht in sich abgeschlossen, sondern als Fortsetzung der Stadt. Da Wohnraum in Ballungsräumen, teils auch in ländlichen Gebieten knapp ist, spielt das Quartier in Sachen Urbanisierung und Nachverdichtung eine zentrale Rolle.

Der künftige Trend ist klar: Im Quartier sollen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Lernen und Freizeitleben möglichst nah beieinander liegen, das Credo lautet: Multifunktionalität, kurze Wege, soziale Mischung. Monostrukturen sind in urbanen Gebieten passé, das ist zumindest die Idee. Offensichtlich gilt das nicht im selben Maße für die Architektur. In neu errichteten und geplanten Quartieren dominieren nach wie vor kompakte Gebäude mit monotoner Flachdach-Ästhetik. Vermeintliche Moderne und Funktionalität übertrumpfen tradierte Haustypologie und architektonische Vielfalt.

// VISUELLE VARIANZ UND INDIVIDUELLE NOTE
Unsere Dachlandschaften sind seit Jahrtausenden durch Schrägen geprägt. Nicht nur in Deutschland, auch in alten europäischen Städten wie Siena und Gent gehört das steile Dach zur bewährten Bauform. Das Steildach, die Urform des Daches, steht für Wohnlichkeit, Zuhause- Gefühl und Charakter. Das geneigte Dach ermöglicht nicht nur visuelle Varianz durch unterschiedliche Formen und Materialien, unter dem traditionellen Giebel entsteht neben Pufferraum auch charmanter, verwinkelter Raum, z.B. als Maisonetten oder Dachateliers mit individueller Note.
Das Projekt „Hof im Hof“ bindet den umgebenden Bestand und seine Dächerkultur geschickt mit ein.
Zeitgenössische Interpretation des alpenländischen Baustils für ein Wohnquartier mitten in Garmisch.
// ÖKONOMIE IM FOKUS
Quartiere hingegen, die sich auf den Spuren des Bauhaus-Konzeptes aus glatten Kastenbauten zusammensetzen, wirken bisweilen optisch austauschbar und können dazu führen, dass Orte an Identität verlieren. Solche Viertel sind vom städtebaulichen Kontext losgelöst. Die kistenartigen Ensembles strahlen BürobauAtmosphäre aus, hier ist nicht nur das Homeoffice mehr Office als Home. Sind die Ansammlungen mehrgeschossiger Flachdach- Gebäude erstmal in die Jahre gekommen, ähneln die avantgardistisch gedachten Quartiere mitunter Trabantenstädten. Und doch überwiegt im Stadtquartier bislang das Flachdach. Wie kommt das? Bei der Planung stehen Kriterien wie Schnelligkeit, Wirtschaftlichkeit, technische und energetische Anforderungen im Vordergrund. Hier scheint das Flachdach zunächst die beste Wahl zu sein, wären da nicht noch die oft außer Acht gelassenen Instandhaltungskosten und die soziokulturelle Dimension von Architektur – ein Aspekt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt.
// PERSPEKTIVWECHSEL MIT ZUKUNFT

Die Herausforderung besteht darin, bei der Nachverdichtung die städtebauliche Umgebung mit einzubeziehen. Nur wenn für das neue Quartier die Architektur der nachbarschaftlichen Häuser mitgedacht und zeitgenössisch weiterentwickelt wird, fügt es sich dauerhaft harmonisch in das Stadtbild ein. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die vom Architekturbüro Meixner Schlüter Wendt entwickelte Wohnbebauung „Hof in Hof“ in Frankfurt am Main, die sich auch mit ihrer lebendigen Bedachung in die gründerzeitliche Blockrandbebauung integriert. Eine ebenfalls stimmige Interpretation der regionalen Baukultur gelang den Architekt*innen des Büros Beer Bembé Dellinger mit dem Projekt „Altes Garmisch neu gelebt“. Für das Ensemble der SatteldachHäuser mit Gemeinschaftsgarten erhielten sie mehrere Preise.

Neue Quartiere mit steilen Dächern geben Städten ein identitätsstiftendes Antlitz, sie zitieren Traditionelles und entfalten zugleich ihr eigenes Charisma. Auf diese Weise entstehen abwechslungsreiche, ästhetisch wie materiell nachhaltige Dachlandschaften, die Historie und Moderne verbinden.

Bildnachweise: Christoph Kraneburg (1); Stefan Müller-Naumann (2); Till Schuster (3)

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