// Kein Dorf ohne Dach

// luna productions – Deitingen, Schweiz
Was bedeutet das Leben und Arbeiten im Dorf, und welche baukulturelle Verantwortung wohnt dem Dach als gestalterischem Element inne? Antworten auf diese Fragen geben uns zwei junge Architekten aus Deitingen, einer 2.237-Seelen-Gemeinde in der Schweiz. luna productions – ein Akronym aus Lukas und Nadja Frei – steht für Gedankenexperimente, für Kreativität, schlicht für alles, was die beiden privat und beruflich bewegt.
// Raum und Zeit
Auf dem Dorf ist die Welt noch in Ordnung. Solche oder ähnliche Sätze hört man oft von Städtern, die sich nach jahrelangem Leben in der Stadt aufs Land flüchten, das als Raumkategorie immerhin einen Anteil von etwa 70 Prozent der gesamten Flächenverteilung innerhalb Deutschlands einnimmt und das Landschaftsbild somit nachhaltig prägt. Aber wie verhält es sich eigentlich mit der Architektur im ländlichen Raum? Was zeichnet sie aus, vor welchen Herausforderungen steht sie, und wer baut diese Orte, die wir fast zwangsläufig mit Ruhe, Wohlgefühl und Entspannung verbinden? Nadja und Lukas Frei, beruflich und auch privat ein Paar, sind beide auf dem Land großgeworden und haben sich bewusst für das Leben dort entschieden.
Der Baum unter dem Dach hat neben seiner Ästhetik auch eine tragende Funktion.
„Unser Anspruch ist es, beim Eingriff in bestehende Strukturen nicht nur auf die Bedürfnisse des Einzelnen zu achten, sondern mit unserer Intervention die Situation so zu verbessern, dass eine lebendige Nachbarschaft entstehen kann.“
// Architektur als Gemeinschaftsaufgabe
Der Maßstab auf dem Land ist viel kleiner als in der Stadt. Gebäudeabstände sind größer, Freiräume grüner und Fassadenhöhen weit geringer. Das Dach ist maßgeblich an der Wirkung des Straßenbildes beteiligt. Es kann und soll als fünfte Fassade dienen, in ländlichen Gebieten sogar identitätsstiftend sein. „Architektur ist einfach sichtbarer als in der Stadt“, sagt Nadja Frei und denkt dabei an den Dialog, in den sie mit den Dorfbewohnern tritt. „Als Architekt im Dorf arbeitet man weniger anonym“, ergänzt Lukas Frei. „Insbesondere dadurch, dass wir dort bauen, wo wir leben und arbeiten, treten wir in einen viel direkteren Diskurs mit der Nachbarschaft über das, was gerade neu entsteht.“ Auch deshalb sei ein nachvollziehbarer Entwurf notwendig. Dieser solle sich behutsam in die gewachsenen Strukturen einfügen, ohne in Konkurrenz zum Bestand zu treten, aber auch selbstbewusst sein, den Ort schärfen und auszeichnen.
// Gestaltungsraum Dach
Sockel, Fassade, Steildach: Das waren die drei Gestaltungselemente, die dem Mehrfamilienhaus in Deitingen sofort ablesbar sein sollten. Kein Monolith, kein schriller Bau, einfach ein zeitloses Gebäude, das neben gestalterischen Aspekten auch eine möglichst lange Lebensdauer bietet. Entgegen dem „Null-Dachüberstand-Trend“, der in zeitgenössischer Architektur immer häufiger zu beobachten ist, wird er hier zum Gestaltungsprinzip. Die unbehandelten und rohen Materialien werden gleichmäßig und schonend altern, um auf natürliche Weise Teil ihrer Umgebung zu werden.
// Baukultur als Lebensaufgabe
Wenn Nadja und Lukas Frei an Baukultur im ländlichen Raum denken, schwingt Unzufriedenheit mit. Ihnen fehlt die Auseinandersetzung mit dem Ort, mit regionalen Bautraditionen und der Verwendung von ortstypischen Materialien. Sie beobachten eine zunehmend wirtschaftlich orientierte Architektur, in der Investoren kontextlose, leblose Renditeobjekte realisieren und Ein- und Mehrfamilienhäuser wie Pilze aus dem Boden schießen. Der Betrachtungsperimeter liegt dabei auf der eigenen Parzelle. Das Nebenan, der Straßenraum und die Qualitäten des Quartiers werden kaum berücksichtigt. Und genau dort setzen Nadja und Lukas Frei an. Sie übernehmen Verantwortung, wollen aufzeigen, wie die bauliche und räumliche Entwicklung in ländlichen Gebieten qualitativ gestaltet und damit das baukulturelle Erbe bewahrt werden kann.
Ihrer beider Lieblingsstadt, wenn sie an Dächer denken? Eindeutig Siena. Die wilde, organische und gewachsene Struktur fasziniert sie dabei am meisten. Die heterogene Dachlandschaft und die Verwendung von ortstypischen Materialien als verbindendes Element ist prägnant.
Bildnachweise: Mark Drotsky / en.joy.it / photocase.de

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