// EIN DORF IM AUFBRUCH

// ANDERS LENDAGER, KOPENHAGEN
Was wäre, wenn es gelänge, eines der wirtschaftlichsten und gleichzeitig nachhaltigsten Wohnprojekte zu bauen? Was wäre, wenn das Projekt mehr Biodiversität als zuvor schaffen und den Biofaktor um 30 Prozent erhöhen könnte? Und was wäre, wenn das Projekt zu 30 Prozent aus Upcycling-Materialien bestünde? Diese ambitionierten Fragen beantwortet das dänische Architekturbüro Lendager mit seinen Ressourcenhäusern in Lisbjerg.

Das Dorf Lisbjerg nördlich von Aarhus hat große Pläne: Im Rahmen eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Dänemarks soll in den kommenden Jahren aus dem ehemaligen 1.000-Seelen-Dorf eine Stadt mit 25.000 Einwohner*innen und Tausenden Arbeitsplätzen werden. Eine der Maßnahmen zur Ortserweiterung ist „Made in Aarhus“ von Lendager. Mit all seinen Entwürfen verschreibt sich das Kopenhagener Architekturbüro den Leitbildern der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft und setzt auf energieeffiziente sowie ressourcenschonende Ansätze. So auch beim besagten Neubaugebiet. Ressourcenbewusstsein, Gesundheit und Gemeinschaft bilden den Ausgangspunkt für die 215 nachhaltigen Wohnhäuser, die mit einer tragenden Holzstruktur und recycelten Materialien errichtet wurden.

// WILDBLUMEN UND OBSTBÄUME

Die Wohnsiedlung schließt an den früheren Dorfkern Lisbjergs an. Ihre sanft ansteigende Topografie gibt den Blick auf Aarhus, seine Felder sowie seine Bucht im Süden frei. Diese wiederum findet ihre Übersetzung in der Satteldachlandschaft der ein- bis dreigeschossigen Wohnblöcke, die wie zufällig auf dem Areal platziert scheinen. Die aufgelockerte Bebauung bildet nicht nur Höfe zur gemeinschaftlichen Nutzung aus, sondern zieht auch die umgebende, erhaltenswerte Landschaft in die Siedlung hinein. Statt monokulturell genutzter landwirtschaftlicher Fläche prägen Wildblumen und Obstbäume, Picknickplätze und Spielflächen den Grünraum und tragen so zu einer erhöhten Biodiversität bei. Gleiches gilt auch für die geneigten Dachflächen, die als Gründächer ausgebildet und mit bis zu fünfzehn verschiedenen Pflanzenarten bestückt sind. Mit dem Wandel der Jahreszeiten wechseln ihre Farben von Grün zu Rot. Darüber hinaus bieten sie dank ihrer Fläche von 8.800 m2 ein beachtliches Speichervolumen für Regenwasser. Das restliche Niederschlagswasser wird abgeleitet und mehreren Versickerungsflächen zugeführt. Dort, wo keine Grünflächen infrage kamen, erzeugen Photovoltaikmodule jährlich 12.200 kWh Strom und sorgen so für eine CO2-Einsparung von 72 Tonnen pro Jahr.

Die Gebäude sind zum Teil durch Glasdächer verbunden, unter denen sich Erschließungs- und Gemeinschaftsflächen befinden.
// VOM STEILDACH AN DIE FASSADE
Um den CO 2-Fußabdruck noch weiter zu reduzieren und dem Projekttitel „Made in Aarhus“ gerecht zur werden, bestehen 20 Prozent der verwendeten Materialien aus recycelten Baustoffen der Umgebung. Die Fassaden der Wohnblöcke variieren in Farbtönen von Schwarz, Gelb über Grün bis hin zu Rot – und zwar je nach Art der Außenwandbekleidung in Naturschiefer, Holz, Metall oder wiederverwendeten Dachziegeln. Letztere wurden als Fassadenbekleidung nicht nur innovativ in einen anderen Kontext gesetzt, sondern erschaffen durch ihre Patina eine eigene Ästhetik und unterstreichen bewusst den Nachhaltigkeitsgedanken des gesamten Quartiers.
„Durch die Wiederverwendung von Materialien überwinden wir nicht nur die Verschwendung in der Architektur, sondern erzählen auch eine Geschichte, die unsere ästhetische Wahrnehmung prägt.“
Anders Lendager, CEO bei Lendager
Bei The Swan in der Gemeinde Gladsaxe wurden ganze Holzsparrengebinde aus dem Vorgängerbau wiederverwendet.
// EXPERIMENT „MATERIALLAGER“
Noch einen Schritt weiter ging das Team von Lendager beim Kindergarten „The Swan“. Ganz im Sinne einer kindgerechten Architektur besteht der Neubau aus kleinen, aneinandergereihten Häusern mit asymmetrischen Satteldächern. Die dörfliche Wirkung des Ensembles wird durch den Einsatz verschiedener Fassadenund Dachmaterialien gestärkt, ist im Inneren jedoch kaum wahrnehmbar. Vielmehr verschmelzen die Baukörper hier zu einer Einheit. Für die Errichtung kamen ausschließlich Re-Use- Materialien aus dem Vorgängerbau – einer Schule – zum Einsatz. Und mehr noch: Die Architekt*innen wagten das Experiment, ganze Holzsparrengebinde zu demontieren, auf der Baustelle zwischenzulagern und unter statischer Ertüchtigung wiederzuverwenden – mit Erfolg. Neben Ziegelsteinen, Dachziegeln und gewelltem Stahlblech als Verkleidung für Dächer und Fassaden sind sechs der alten Sparrengebinde im zentralen Eingangsbereich zu sehen.
Bildnachweise: Maria Albrechtsen Mortensen (Portrait); Lendager (1); Giedre Skucaite (2); Rasmus Hjortshøj (3,4)

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